Kriegsende in Gieboldehausen 1945

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Besetzung von Gieboldehausen durch amerikanische Truppen am 10. April 1945

1945 März/April: Amerikanische Jagdbomber beschießen einen Personenzug in Höhe Marsfelder Berg. Nachdem der Zug den Gieboldehäuser Bahnhof erreicht hat, wird er ein zweites Mal angegriffen. Die Lokomotive wird zerstört. Anliegende Häuser erhalten ebenfalls Treffer. Dabei kommt eine Einwohnerin ums Leben.
Am 8. April 1945
überschreiten Amerikanische Einheiten die Leine. Unser Gebiet ist Angriffsziel der 1. US Armee, Stoßrichtung ist der Raum nördliches Thüringen und der Harz um Nordhausen.
Am 8. April erklärt das Oberkommando der Wehrmacht den Harz zur Festung und beauftragt das Oberkommando der 11. Armee unter der Leitung des Generals der Artillerie Walter Lucht mit der Verteidigung des Gebirges.
8. April (Weißer Sonntag): 2 mit Petroleum gefüllte Kesselwagen der Reichsbahn, die auf dem Bahnhof abgestellt sind, und dort für die Anlieger eine große Gefahr bedeuten, werden von mutigen Einwohnern mit Muskelkraft bis auf Höhe des jetzigen Sportplatzes geschoben. Viele Einwohner nutzen die Gelegenheit und versorgen sich mit dem sonst nicht zu bekommenden Brennstoff. Mittels eines provisorischen Schöpfgerätes werden Eimer und Kannen gefüllt. Angehörige der Deutschen Wehrmacht sprengen mittels Handgranaten die beiden Kesselwagen. Das auslaufende Petroleum entzündet sich und es entsteht ein Brandherd von beachtlichem Ausmaß. Ausgebrannte Kesselwagen und verbogene Eisenbahn Schienen bleiben als traurige Reste zurück.
Montag, 9. April: Besetzung von Duderstadt durch die Spitze der 3. Amerikanischen Panzerdivision unter dem Kommando CCA Brigadegeneral Hickey:
Aufgabe: das Harzvorland mit 4 Panzerspitzen überrollen, 1. Spitze Gieboldehausen Obernfeld, 2. Spitze Richtung Nordhausen, 3. Spitze Duderstadt, Brochthausen, Bockelnhagen, 4. Spitze Bischofferode. Es sollte folgen: 1.US Infanterie Division und 104. Infanterie Division.
Dienstag, 10. April, 9 Uhr: Pioniere der Deutschen Wehrmacht sprengen die Hahlebrücken in Gieboldehausen und Rollshausen. Durch mutiges Eingreifen von ortsansässigen Männern, die an der zur Sprengung vorbereiteten Rhumebrücke die Sprengladungen entfernen, kann diese Brücke erhalten werden. Es herrscht dichter Nebel.
In den Morgenstunden erreicht eine gepanzerte Kampfgruppe, aus Richtung Wollbrandshausen kommend, unter Colonel Richardson mit der 3. US Panzerdivision den Ort. Eine zweite Gruppe unter Colonel Hogan wird, von Northeim kommend, beim Strohkrug in Bilshausen in ein kurzes Gefecht verwickelt und erreicht den Ort nur wenig später. Den Panzereinheiten folgen Teile der 104. US Infanterie Division. Eine Batterie der Divisions-Artillerie geht westlich des Fleckens in Stellung (Meerfeld) und beschießt in der Nacht vom 10. zum 11. April deutsche Stellungen in der Aue hinter dem Rotenberg. Eine weitere Batterie hatte östlich von Obernfeld Stellung bezogen.
Es kommt zu keinen größeren Kampfhandlungen. Etwa 15m hinter der Einmündung der jetzigen Paterhofstraße in die K 107 erhält ein amerikanischer Jeep einen Volltreffer. Ein Soldat und ein Offizier werden dabei getötet. Elbinger Bauern haben in den Schluchten des Rotenberges Schutz gesucht. Sie werden von den Amerikanern entdeckt und beschossen. Dabei wird Karl Heinz Fröhlich getötet. Noch am selben Tag wird eine Ausgangssperre von 6 Uhr abends bis 8 Uhr morgens verhängt. Eine junge Frau wird vergewaltigt. Es kommt zu Plünderungen durch im alten Amtsgericht internierte Slowenen und ausländische Zwangsarbeiter.
Starke Panzereinheiten im Durchmarsch aus Richtung Wollbrandshausen benutzen die Eisenbahnbrücke zum Überqueren der Hahle. Leichtere Fahrzeuge fahren über die Brücke bei der Fassfabrik Winter. Eine weitere Panzerspitze aus Richtung Seulingen benutzt die Hahlebrücke bei Obernfeld und fährt weiter in Richtung Breitenberg.
Mittwoch, 11. April: Bodensee und Bilshausen werden besetzt.

Am 10. Dezember 2011 besuchte uns ein junger Amerikaner, dessen Großvater im letzten Krieg den Feldzug der US Armee in Europa mitgemacht hat. Auf dem beigefügtem Bild ist der in der Mitte stehende Soldat S/Sgt. David L. Henry abgebildet. Truppenteil: Reconnaissance Company/32nd Armand Regiment / 3. Armand Division /(Panzer Division) 1. Army. Laut beigefügtem Text gehörte David L. Henry zu der Aufklärungskompanie, die am 10. April Gieboldehausen besetzt hat.

Der junge Mann hätte nun gerne gewusst, wo das Bild aufgenommen wurde. Leider konnten wir ihm nicht helfen. Sollte jemand das Bild zuordnen können, wird um Benachrichtigung gebeten.


Zeitzeugenbericht von Josef Hobrecht, 1886-1962
zum Ende des Krieges in Gieboldehausen

Es kam dann der 10. April. Die Amerikaner standen vor Gieboldehausen. Es war der Dienstag.

Wir hatten am Sonntag, den 8. April, noch bei unserm Eduard eine Kommunionfeier gehabt, die aber am Abend abgebrochen wurde, weil das Donnern der Geschütze bei Göttingen schon zu hören war. Alles lief durcheinander und nach Hause. Wir packten das Allernötigste auf den dicken Kastenwagen und zogen dann am Montagmorgen mit den Pferden und Wagen vollgepackt nach Ohlenrode ins Jungfernloch, wo die meisten Bauern mit Kind und Kegel in den Schluchten Schutz suchten. Unser Luis, der franzosische Gefangene, zog mit unserm Wagen mit meiner Frau und den 3 Mädchen (Lenchen, Gertrud, Klärchen) und Frau Apel mit 2 Kindern dorthin. Ich allein blieb zu Hause. Ich fühlte mich so allein ganz unglücklich. Es waren nur ganz wenige Menschen im Ort geblieben. Es herrschte eine Totenstille im Ort. Nur das Vieh brüllte und grunzte. Weil der Feind an dem Tag nicht näherkam, fuhren die Wagen sämtlich am Abend wieder zurück. Wir legten uns in unsere Betten, jedoch an Schlaf war nicht zu denken. Am andern Morgen, Dienstag, wollten wir wieder dieselbe Tour machen. Wir hatten das erste Pferd vor den Wagen gespannt, da flog unsere Hahlebrücke in die Luft.

Es wäre unsinnig gewesen noch wegzulaufen. Es dauerte dann nur noch einige Stunden und der Amerikaner war hier. Wir in Gieboldehausen hatten großes Glück, dass die 4 Panzer, der eine stand bei Beckers Garten am Wakeberge, der 2. bei der Molkerei, der 3. vorm Hellberg, der 4. am Elbinger Wege, wo jetzt die Pappschachtel steht. Dass dieser 4. Panzer nur einen Schuß abgegeben hatte, wendete, und Richtung Harz verschwand. Somit war und ist Gieboldehausen vor größerem Schaden bewahrt worden.

Jetzt gab es wieder unruhige Tage und Nächte. Weil die Hahlebrücke von unserer Wehrmacht noch in letzter Minute gesprengt war, kamen die feindlichen Panzer, die leichten über Winters Fabrik, in der Mittelstraße, die schweren Panzer über die Eisenbahnbrücke in Lembshausen, über den Pfingstanger, zur Hahlestraße ins Niederdorf, um unsere Ecke vor dem Amte zur Rhumestraße und Ohlenrode aus in Richtung Harz. Im Harz gab es wohl eine kleine Stauung, denn die amerikanische Artillerie fuhr im Marsfelde und kleinen Lohberg in Stellung und es gab die Nacht über ein Artillerie Duell. Wir kriegten des Nachts auch amerikanische Soldaten ins Haus. Mit einem Hallo „have jue for 6 Manns slip?“ kamen sie am Abend vor unser Haus. Ich sprach sie auch auf Englisch an. Sie waren sehr anständig und haben uns nichts genommen und getan.

Weil der Vormarsch im Harz nicht gleich weiter ging, lebten wir noch einige Tage in Angst und Bangen, aber geräubert haben die Soldaten nicht. Hier ein Beispiel: Bei einer Durchsuchung der Häuser hatten sie bei And. Döring Nr. 214 von der Helene die Armbanduhr mitgehen lassen. Helene Döring kam zu mir und klagte mir das. Ich ging an den Offizier heran und sagte ihm, dass seine Soldaten keine Gentlements seien. Er wurde zornig und fragte warum? Ich sagte ihm auf Englisch. Sie hätten dem Fräulein die (Watch) Uhr gestohlen. Der Offizier ließ darauf die ganze Mannschaft antreten und sagte etwas was ich nicht verstanden habe, darauf griff ein Soldat in die Hosentasche und gab die Uhr heraus und zurück. Nach einigen Tagen bangen Wartens kriegten wir eine Kommandantur, die draußen die ganze Hindenburgstraße und die neue Straße beschlagnahmt hatten. Wie kriegten wieder normale Verhältnisse. Wir konnten unsere landwirtschaftlichen Arbeiten verrichten und nachgehen.

Gieboldehausen war ohne größeren Schaden gut davon gekommen. Die gesprengte Hahlebrücke wurde sofort von uns wieder aufgebaut wobei die Amerikaner mit halfen. Sie holten z. B. eiserne Stahlträger von Peine (mit ihren Panzerwagen). Das ging alles so schnell vorwärts, dass wir in der Heuernte schon wieder darüber fahren konnten.

 Zeitzeugenbericht von Heinrich Bode, Amtsstraße

 Nach Ausbildung als Pionier in Holzminden und Einsatz in Jugoslawien und Russland wurde ich verwundet und im August 1943 als arbeitsverwendungsunfähig entlassen. Ich habe dann in verschiedensten Rüstungsbetrieben als Feuerungsmaurer gearbeitet. Nachdem der Eisenbahnverkehr nicht mehr geordnet ablief, bin ich zu Hause geblieben. Ich habe dadurch die letzten Wochen vor Einzug der Amerikaner in Gieboldehausen bewusst erlebt.

Selbst das Bahnfahren war im letzten Kriegsjahr ein Wagnis. Die deutsche Luftabwehr existierte kaum noch, dadurch wurde der Luftraum von gegnerischen Flugzeugen beherrscht. Eisenbahnzüge waren ein lohnendes Ziel. Auch auf dem Bahnhof in Gieboldehausen wurde ein Zug beschossen.

Ab Ostern (1. April 1945) zogen sich verstärkt einzelne Truppenteile vollkommen ungeordnet zurück. In Gesprächen erfuhr man, dass ihre Einheiten im Rheinland aufgerieben wurden. Sie hatten Weisung sich in Richtung Harz abzusetzen.

Am Hellberg stand seit dem 2. Ostertag ein gefechtsbereiter Panzer mit östereichischer Besatzung. Diese hatten Funkverbindung. Wir jungen Leute hatten Kontakt zu ihnen und erfuhren dadurch viel über Kampfhandlungen und Rückzug. Am „Weißen Sonntag“ (8. April 1945) war der Panzer aber verschwunden.

Am Vormittag des 6. April 1945 kam ein Trupp Pioniere. Sie hatten den Auftrag, die Hahle und Rhumebrücke zur Sprengung vorzubereiten. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen. August Freckmann, Johannes Wüstefeld, Johannes Gödecke (Rathaus) und ca. 30–40 behinderten die Truppen. Nach etwa einer Stunde kam ein General. Dieser wurde umringt und bedroht. Mit einer Pistole in der Hand gab er Anweisung, die Brücken vorzubereiten. Ein Unteroffizier und ein Soldat mit einem Krad blieben zur Bewachung zurück. Ihnen wurde Privatkleidung angeboten, damit sie sich absetzen konnten. Dies lehnten sie aber ab.

Am 8. April 1945 (Weißer Sonntag) verstärkte sich der Rückzug. Sogar eine mit den neuen Königstigern ausgerüstete Panzereinheit war dabei. Gegen Abend quartierten sich schon mehrere Einheiten in Hausfluren, Scheunen und Ställen ein. Alle sagten, dass die Amerikaner bis Ebergötzen vorgerückt seien. Das wurde auch von Zivilisten bestätigt. Allgemein wurde angenommen, dass die Amerikaner am nächsten Tag einmarschieren. Erneute Bemühungen die Sprengung der beiden vorbereiteten Brücken zu verhindern, scheiterten. Die beiden Pioniere ließen sich auf nichts ein. Nach einer Absprache mehrerer Männer wurden sie in Auseinandersetzungen an der Hahlebrücke verwickelt. Während Johannes Gödecke und ich an der Rhumebrücke in der Umgehungsstrasse die Sprengladung und den Holzunterbau, auf dem der Sprengstoff zwischen den Betonunterzügen lag, in die Rhume warfen. Da es sich um Donarit, einen pulverigen, gewerblichen Sprengstoff handelte, der in Wachspapier gerollt war, war er nicht mehr aus dem Wasser zu holen. Das Zündkabel war angebracht, aber nicht ausgerollt. Deshalb machte der Abbau auch keine Schwierigkeit. Es ist dann auch nicht gelungen, die Brücke noch einmal zur Sprengung vorzubereiten. Dadurch blieb sie erhalten.

Wider Erwarten rückten die Amerikaner aber am 9. April 1945 nicht in Richtung Gieboldehausen vor. Wenige deutsche Einheiten zogen sich noch zurück. Am Dienstag, den 10. April 1945, etwa 9 Uhr, bei starkem Nebel, zogen noch motorisierte Fahrzeuge und leichte Panzer zurück. Danach wurde die Hahlebrücke gesprengt.

Wir gingen mit mehreren Leuten über die Trümmer Richtung Molkerei. Kurz vor der Molkerei standen wir in dichtem Nebel plötzlich einer Gruppe Amerikaner gegenüber. Offensichtlich ein Spähtrupp, der wegen des Nebels die Lage erkunden sollte. Sie umstellten und befragten uns nach deutschen Soldaten. Wir berichteten, in der Annahme, dass keine Soldaten mehr da wären, dementsprechend. Plötzlich hörten wir eine kräftige Detonation, die nicht nur die Amerikaner beunruhigte. Wir gingen in Deckung und dachten an Artilleriebeschuss. Als es ruhig blieb, forderten uns die Amerikaner auf, mitzukommen. Vor der gesprengten Brücke ließen sie uns wieder gehen. Nach Abzug des Nebels stellte sich heraus, dass sich ein deutscher Panzer in der Suhle festgefahren hatte. Ihm war die Brücke vor der Nase weggesprengt worden. Er war dann in den Stämmegarten gefahren. Beim Durchfahren der Suhle hatte er sich festgefahren und wurde von der Besatzung gesprengt.

Wenig später kam eine motorisierte amerikanische Einheit mit Panzern. Die Offiziere hatten Karten, berieten kurz und schickten einen Panzerspähwagen an der Hahle runter bis zur Eisenbahnbrücke. Als er zurückkam fuhren alle Panzer zur Eisenbahnbrücke. Dann durch die Wiesen zum Feldweg gegenüber, dem Kälbesboyweg, und dann wieder auf die Straße. Jeeps und Lkws. fuhren den Fabrikweg über die Suhle und bei der Fassfabrik über die Hahlebrücke.

Über die B 247 aus Richtung Lindau kamen die Amerikaner einige Stunden später. Am Rotenberg (jetzt Pappschachtel) hatten einige deutsche Panzer und PAK (Panzerabwehrkanone) Stellung bezogen. Der amerikanische Vormarsch stockte. Bei Elbingen und im Ohlenrode in den Gärten beim Zimmerplatz (jetzt Wohnhaus Heinz Nickel) gingen amerikanische Panzer in Stellung, haben aber nicht geschossen. Am Nachmittag griffen Flugzeuge ein.

Ein deutscher Königstiger hatte einen Volltreffer bekommen und lag bis Herbst 1945 an der Straßenböschung vor der Pappschachtel. Eine Kette war beschädigt und er konnte folglich nicht mehr fahren. Im Rotenberg, auf der alten Straße gleich hinter der Kuppe, waren Geschütze in Stellung, die offensichtlich die Straße Hattorf–Auekrug bzw. die Bahnstrecke unter Feuer nehmen sollten. Sie waren wahrscheinlich erkannt, denn sie wurden im selben Angriff bombardiert.

Am 11. April kam es in der Aue dann zu erheblichen Schießereien. An der Gieboldehäuser Molkerei standen amerikanische Geschütze, die in den Kampf eingriffen. Die Schießereien endeten gegen Abend, nach Einsatz amerikanischer Jagdbomber.

Nachdem auf der B 27 am Rotenberg der Vormarsch stockte, verlagerte sich alles auf die K 107, Ohlenrode. Zunächst ohne Störung. Nach Auflösung des Nebels kam es aber vereinzelt zu Beschuß vom Rotenberg aus. Etwa 15 m hinter der Einmündung der jetzigen Paterhofstraße in die K 107 erhielt ein amerikanischer Jeep einen Volltreffer. Ein Soldat und ein Offizier wurden hierbei getötet. Sie wurden noch am selben Tag abtransportiert. Der Jeep lag noch mehrere Wochen im Straßengraben.

Elbinger Bauern hatten sich in den Elbinger Schluchten versteckt. Sie wurden entdeckt und von den Amerikanern beschossen. Dabei wurde Karl–Heinz Fröhlich (Bruder von Lieschen Kotte und Millie Böhme) getötet. Ich wüsste nicht, dass es weitere Tote beim Einmarsch der Amerikaner gegeben hat.

Der alte Schützenhaussaal, der etwa an derselben Stelle stand wie jetzt der Saal des Niedersachsenhofs, lag voll italienischer Flugzeugbordkanonen und Munition. Er wurde von den Amerikanern angesteckt und brannte total ab. Der ganze alte Lindenbestand auf dem „Kleinen Anger“ wurde dabei vernichtet.

In vielen Häusern im Flecken wurden gruppenweise Amerikaner einquartiert, deren Verhalten sehr unterschiedlich war. In der Ohlenroder Straße lag eine Einheit, deren Verhalten mustergültig war. Bei uns im Haus waren 10 Mann untergebracht. Wenn diese frische Milch oder Eier haben wollten, haben sie das immer mit Gegenständen aus ihren Verpflegungspaketen ( Zigaretten, Tabak, Schokolade, Corned Beef. Knäckebrot, Tee und Kaugummi) entschädigt. Lediglich ein Bild meines Vaters, das ihn in Paradeuniform  als Gardesoldat beim Kaiserlichen Wachregiment in Berlin zeigt, war verschwunden.

 

Die Zeit nach dem Krieg von 1945 bis 1948

 

Deutsche Soldaten, die sich von ihrer Truppe abgesetzt haben, sind abseits der großen Straßen unterwegs und versuchen ihre Heimat zu Fuß zu erreichen. Abends kommen sie in die Häuser an den Dorfrändern und bitten um ein Nachtquartier und Essen.

Der Eisenbahnverkehr ist eingestellt. In den Sommermonaten bis zum Herbst fällt der Schulunterricht aus. Die Versorgung der Bevölkerung ist schlecht. Der Ausfall von Strom ist zwar lästig, aber Kerzen und Petroleumlampen, die noch in jedem Haushalt vorhanden sind, schließen die Lücke. Auch später ist die Versorgung mit Elektrizität noch mangelhaft. Stundenweise „Stromsperren“, vorwiegend in den Abendstunden, sind normal. Diese Sperren hatten aber auch Vorteile. Die Familien saßen zusammen und es wurde erzählt. Um Kerzen zu sparen wurde die Ofenklappe einen Spalt geöffnet und das flackernde Feuer schaffte eine trauliche Stimmung. Auch der Ausfall der Wasserleitung ist kein Problem. Es gibt genügend Brunnen, die nach Auspumpen und Säuberung, den Bedarf decken.

 

Schwieriger ist die Versorgung mit Lebensmitteln. Einwohner, die mit dem zurechtkommen müssen, was es auf Lebensmittelkarten gibt, leiden gegenüber den Selbstversorger-Haushalten Not. Leute aus den Städten gehen in den ländlichen Gebieten auf Hamster-Tour. Aber nicht nur Lebensmittel sind gefragt, auch Tabak, der in Obernfeld reichlich vorhanden ist, dient als Tauschartikel. Es hat sich praktisch eine Tabak-Währung eingebürgert. Ein Pfund Tabak gleich 250 Reichsmark, gleich ein Pfund Zucker. Es gibt zum Teil feste Preise. Ein Paar Arbeitsschuhe, die vorwiegend von den Bergleuten aus dem Ruhrgebiet angeboten wurden, kostete 5 Pfund Tabak. Ein Anzugstoff mittlerer Qualität war für 30 Pfund Tabak zu bekommen. Eine Ami-Zigarette 7 Rm. Der schwarze Markt blüht. Eine Versorgung mit Kleidung auf legalem Wege gibt es nicht. Aus Wolldecken werden Wintermäntel. Aus gut erhaltenen Uniformen schneidern ortansässige Schneider Jacken und Hosen mit beachtlichem Geschick. Aus selbst gesponnener Schafwolle zaubern die Frauen die schönsten Westen und Pullover mit immer neuen Mustern. Im Laufe des Jahres erscheint auch wieder eine Tageszeitung, die zunächst noch auf einer Verteilerstelle abgeholt werden kann.

1946 setzt ein großer Strom von Heimatvertriebenen aus den Ostgebieten ein und wird auf die einzelnen Haushalte verteilt. In den ohnehin kleinen Häusern wird es eng. Einige Familien müssen zum Ärger der Hausfrauen ihre „gute Stube“ zur Verfügung stellen. Mit gutem Willen beiderseits kommt man letztlich doch zu einem guten Nebeneinander. Die Neuankömmlinge versuchen sich so gut es geht einzurichten. Es fehlt an Allem. Einsichtige Wirtsleute und hilfreiche Nachbarn stiften das nötigste Hausgerät. Die Küche wird gemeinsam genutzt. Die Neuankömmlinge helfen in der Landwirtschaft und werden in Naturalien entlohnt. Wer kann, schafft sich auf bis dahin unbenutztem Gelände eine kleine Fläche zum Anbau von Kartoffeln und Gemüse. Kinder gehen gemeinsam zur Schule und werden von ihren Klassenkameraden mit Schulutensilien versorgt. Erste Freundschaften werden geschlossen und halten manchmal ein ganzes Leben.

In großer Sorge um vermutlich in Gefangenschaft geratene Männer und Söhne sind Ehefrauen und Mütter. Seit Monaten haben sie kein Lebenszeichen von ihren Lieben. Kartenlegerinnen und Wahrsagerinnen haben gut zu tun.

In zunehmendem Maße kommt es zu Räubereien von ehemaligen russischen Zwangsarbeitern aus dem Lager in Hilkerode, die zum Aufbau des Rüstungswerkes in Rhumspringe eingesetzt waren. Vornehmlich hatte man es auf Schweine abgesehen. Die Ställe werden aufgebrochen und die Tiere gleich an Ort und Stelle geschlachtet oder, was meistens der Fall ist, fortgetrieben. Zum Schutz haben sich fast alle einen scharfen Hund angeschafft. Aus eigenem Erleben kann ich berichten, dass wir die Fährte eines gestohlenen Schweines bis in Höhe des großen Kuhhirtsberges in Richtung Hilkerode verfolgen konnten. Hier fanden sich dann die Eingeweide des Tieres. Als die Einbrüche mit der Zeit überhandnahmen, wurde von den Einwohnern eine Art Bürgerwehr gegründet. Nacht für Nacht patrouillieren nun Männer um das Dorf. Der Erfolg war mäßig. Erst als zwei Polizisten, mit Schusswaffen ausgerüstet, in das Dorf verlegt werden, hören die Diebstähle auf. Nach wie vor wird schwarzgeschlachtet.

Bezeichnend für diese unruhige Zeit ist auch folgende Begebenheit. Im Kaltenhagen, im letzten Haus rechts, wohnte im Herbst 1945 oder 1946 die Familie Franz Bock. An einem Sonntagmorgen in aller Frühe, die beiden Söhne Robert zwanzig und Adalbert fünfzehn Jahre jung, liegen noch im Bett. Plötzlich kommt die mit im Haus wohnende Tante Liese ins Schlafzimmer gestürmt. „Schnell steht auf, mehrere Männer plündern unsere Obstbäume am Weg zum Hübental.“ Raus aus dem Bett, notdürftig anziehen, einen Knüppel greifen und im Sturmschritt zum Tatort laufen, ist das Werk weniger Minuten. Die Räuber, vermutlich handelte es sich um polnische oder russische Zwangsarbeiter, die im Lager Hilkerode wohnten, sind nicht gewillt ihre Beute im Stich zu lassen. Einer der Männer zieht eine Pistole und schießt auf die beiden Jungs. Robert, als erfahrener Frontsoldat geht sofort in Deckung, Adalbert hingegen erwischt es. Ein glatter Schulterdurchschuss ist die Folge. Der auf der Nachbarschaft wohnende Alfred Morick, fährt den Verletzten ins Krankenhaus nach Duderstadt, wo er ärztlich versorgt wird. Spätere Nachforschungen im Lager führen zu keinem Ergebnis.

Groß in Mode war auch das Schnapsbrennen. Zwar behördlich streng verboten, aber findige Männer hatten natürlich Möglichkeiten erfunden, wie man Alkohol selber herstellen konnte. Im Herbst zur Zuckerrübenernte war die passende Zeit. Zunächst wurden die Zuckerüben gesäubert, dann geschnitzelt und gekocht. Der ausgepresste Saft wurde unter Zusatz von Hefe einige Tage stehengelassen. Nach erfolgter Gärung, in der aus den Zuckeranteilen Alkohol geworden war, wurde die sogenannte Maische in den Kupferkessel gefüllt und angeheizt. Der dabei verdampfte Alkohol kondensierte in der anschließenden Kühlschlange. Allerdings war die Sache auch gefährlich. Bei unsachgemäßer Handhabung konnte der Kessel explodieren, oder bei nicht richtig eingehaltener Temperatur entstand Methylalkohol. Todesfälle sind vorgekommen. Aus diesem etwa 30% Alkohol wurden je nach Geschmacksrichtung die verschiedensten Kreationen hergestellt. Zum Beispiel Eierlikör oder Waldmeister. Ich kann mich, als damals sechzehnjähriger, an einen Ball des Sportvereins erinnern, zu dem viele ihre eigene Flasche „Selbstgebrannten“ mitbrachten. Die heimgekehrten jungen Männer steckten voller Lebenslust und Energie. Das Ergebnis ist leicht vorstellbar. Ebenfalls aus Rübensaft wurde Sirup hergestellt. Der Saft wurde in den großen Kessel gefüllt und unter ständigem Rühren solange gekocht, bis sich eine braune geleeartige Masse bildete, die als Brotaufstrich Verwendung fand. Ich habe diese klebrige Masse nie gemocht. Not macht erfinderisch. Einige ältere Frauen hatten sich wohl an frühere Zeiten erinnert, in denen noch Seife selber hergestellt wurde. Aus Knochen und Schlachteabfällen wurde unter Zusatz von Seifenstein (Ätznatron) eine Masse gekocht, die nach Abkühlen in Stücke geschnitten und getrocknet, eine Art Seife ergab.

Die während des Krieges zum Erliegen gekommene Vereinsarbeit wurde wieder aufgenommen. Der Radfahrerverein Wanderlust begann mit Saalfahren auf dem Saal der „Kaiserschenke“. Zu sechst war das bei dem engen Raum nicht ganz einfach. Radfahrerfeste wurden besucht, wobei mir das Fest in Werxhausen in besonderer Erinnerung geblieben ist, denn es endete mit einer großen Massenschlägerei. Der Sportverein Rot–Weiß hatte wieder eine Fußballmannschaft. Die Kluft war noch ein wenig abenteuerlich, aber eine rote Hose, dank der roten Hitlerfahnen, trugen alle. Fußballschuhe wie wir sie heute kennen, gab es nur als einige Restmodelle aus der Vorkriegszeit. Diese Schuhe waren noch in der Spitze mit einer Stahlkappe versehen, was beim Gegner zu schmerzhaften Verletzungen führen konnte. Das erste Spiel fand auf dem Waldsportplatz in Rollshausen statt. Obernfeld gewann mit 3:2. Das Ergebnis gefiel einigen Rollshäusern nicht, was zur Folge hatte, dass es zu Rangeleien kam. Der Fußball von damals ist mit dem heutigen wenig vergleichbar. Es gab keine ausgebildeten Schiedsrichter, keine roten und gelben Karten und auch in der Spielweise hat sich vieles verändert. Motor des Vereins war der unvergessliche Karl Morick (Stellmacher). Er hat nicht nur für den Fußballsport viel getan hat, sondern auch in der Leichtathletik Zeichen gesetzt hat.

Die Reichsmark verliert immer mehr an Wert. Im April Mai 1948 ist die Reichsmark praktisch wertlos. In Erwartung einer Währungsreform werden Waren gehortet. Am Freitag, dem 18. Juni, wird die Währungsreform im Radio angekündigt. Am 20. Juni werden pro natürliche Person 40 DM ausgezahlt. Einen Monat später noch einmal 20 DM nachgeschoben. Ab Montag, dem 21. Juni, ist die DM alleiniges Zahlungsmittel. Lediglich das Kleingeld wird im Wert von 1:10 vorläufig beibehalten. Gleichzeitig wird die Rationierung aller Waren aufgehoben. Über Nacht sind die Schaufenster voll. Geschäfte, die ihre Waren gehortet hatten, sind die großen Gewinner. Der Sparer ist, wie so oft, der Verlierer.

Mit diesen ersten 40 DM hieß es haushalten. Nur das Nötigste wird gekauft. Ein Zweipfundbrot kostet je nach Gegend 75 Pfennig, ein Brötchen 5 Pfennig. Für einen halben Liter Bier zahlte man im Wirtshaus 50 Pfennig. Die Raucher waren nicht gewillt teures Geld für Zigaretten auszugeben. Sie blieben noch eine ganze Zeit bei ihrem „Lattentabak“. Für das Pfund Tabakblätter brauchte man jetzt nur noch den hundertsten Teil auszugeben, nämlich 2,50 DM. Herrschte zunächst noch eine gewisse Arbeitslosigkeit, normalisierten sich die Verhältnisse schnell, und mit zunehmendem Einkommen und der daraus resultierender Kaufkraft stellte sich dann ein Stück Normalität ein.

Gerhard Rexhausen Geschichtswerkstatt des HVV Gieboldehausen